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  • carmenappenzeller

Das rollende Mochi

Aktualisiert: 4. März 2023

Nach einem japanischen Volksmärchen


Es war einmal, vor langer, langer Zeit in Japan. Da lebte ein alter Mann mit seiner Frau in einem Dorf am Fuße der Berge. Die beiden hatten nicht viel Geld, aber zum Leben reichte es gerade. Alles, was sie aßen, kam aus ihrem eigenen Garten. Alle ihre Kleider und Möbel stellten sie selbst her.


Eines Tages sprach der Alte zu seiner Frau: "Ich will morgen in den Wald gehen und Holz hauen. Machst du mir ein paar deiner leckeren Mochi, damit ich sie zum Essen mitnehmen kann?" Am nächsten Morgen stand die alte Frau in aller Frühe auf und bereitete köstliche Mochi nach einem geheimen Rezept zu, das nur sie selbst kannte. Sie packte ihrem Mann sechs Stück in eine Bento-Dose und gab sie ihm mit. "Mach es gut, und bring mir viel Holz für den Ofen mit, lieber Mann!", rief sie ihm nach, als er sich auf den Weg in den Wald machte.

Was ist Mochi?

Mochi sind kleine Bällchen, die aus Wasser und Reismehl gemacht werden. Sie sind ziemlich klebrig und man muss sie gut kauen, damit man sie leicht herunterschlucken kann. Oft werden die Mochi mit weiteren Zutaten zubereitet - einem süßen Kern, einer Farbe oder mit süßer oder herzhafter Soße.

Was ist wohl das Geheimnis im Rezept der alten Frau?

Der Mann ging tief in den Wald hinein, denn er kannte dort eine Stelle, an der gutes Feuerholz wuchs. "Außerdem kann ich dort leckere Beeren für meine liebe Frau pflücken", freute sich der Mann. "Da wird sie staunen!" Er arbeitete einige Stunden lang hart. Dann bekam er Hunger und setzte sich hin, um seine Mochi zu essen. Gerade wollte er sich das erste in den Mund stecken, da hörte er ein Geräusch. Vor Schreck fiel ihm das Mochi aus der Hand. Es kullerte davon und verschwand in einem Loch in der Erde. "Nanu!", dachte der alte Mann, "was ist denn das?" Er stand auf und schaute nach. Zuerst wusste er nicht, wo das Mochi geblieben war. Dann entdeckte er das Erdloch. Er kam näher und - kaum zu glauben! - hörte leise Stimmen im Loch, die sangen! "Was geht denn da vor sich?", dachte der alte Mann. "Ich will noch ein Mochi in das Loch hineinwerfen. Mal sehen, was passiert."


Nachdem er das zweite Mochi in das Loch gerollt hatte, legte er das Ohr ans Loch und horchte. Er konnte leise Stimmchen hören, die sangen:

"Mochi-Küchlein, Mochi-Küchlein,

schöne, dicke Mochi-Küchlein,

rollen, rollen, rollen runter!"


"Wunderschön!", rief der Alte begeistert und ließ ein Mochi nach dem anderen ins Loch hineinplumpsen, bis er keine mehr übrig hatte. Dann beugte er sich weit nach vorn, um in das Loch hineinzuschauen. Doch da :"Hilfe! Hilfe!" Es war zu spät. Der alte Mann war kopfüber gekippt und in das Loch hineingestürzt. Plumps, plumps, plumps - wie zuvor die Mochi rollte der Alte das Loch hinunter.


Endlich landete er unten am Grunde des Lochs. Verdattert schüttelte er den schmerzenden Kopf und sah sich um. Er war umringt von hunderten Mäuschen! Sie hatten also all' seine Mochi-Küchlein aufgegessen! Jetzt waren sie wieder bei der Arbeit: Sie stampften Reis und sangen dabei. Da trat der Anführer der Mäuse auf den Alten zu: "Danke für die köstlichen Mochi-Küchlein, alter Mann. Als Dank bekommst du von uns diesen Sack Reis." Mit diesen Worten überreichte die Maus dem alten Mann ein Säcklein Reis, nur ungefähr so groß wie ein Geldbeutel. "Auf Wiedersehen, alter Mann!", riefen alle Mäuse und begannen, ein neues Lied zu singen:

"Lieber Mann, Reis-Mann,

lieber dicker Mäuse-Mann,

Rolle, rolle, rolle rauf!"


Und während sie sangen, spürte der alte Mann, dass er wie von Zauberhand aus der Höhle heraus und das Loch hinauf gerollt wurde. Schließlich kullerte er auf den Erdboden. Er stand auf und klopfte sich den Staub von den Kleidern. Er konnte kaum glauben, dass er das unterirdische Abenteuer gerade wirklich erlebt hatte. Doch in seiner rechten Hand hielt er das Säcklein Reis. Er war also tatsächlich im Reich der singenden Mäuse gewesen!


Als er zu Hause seiner Frau alles erzählt hatte, schnaubte sie: "Ach, dieses kleine Säcklein Reis reicht doch höchstens für zwei oder drei Mochi." Enttäuscht begann sie, Reis aus dem Säcklein in eine Schüssel zu gießen. Doch sie staunte nicht schlecht: Soviel sie auch schüttete und schüttelte, das Säcklein wurde einfach nicht leer! Es war nämlich ein Zaubersack, den die Mäuse dem alten Mann geschenkt hatten, um sich für seine Großzügigkeit zu bedanken. Schließlich hatte er ihnen alle Mochi geschenkt, die er dabei gehabt hatte.

Was bedeutet "Großzügigkeit"?

Großzügig ist, wenn jemand einem anderen etwas Gutes tut, zum Beispiel mit ihm teilt, lobt, aufheitert, etwas schenkt oder sonst eine Freude bereitet. Das wichtigste: eine großzügige Tat ist ganz freiwillig. Man macht es also nicht deshalb, weil man muss ("Teil doch dein Spielzeug mit den anderen!") oder hofft, dass der andere einem etwas zurückschenkt.

Von nun an gab es im Haus der alten Leute immer mehr als genug Reis zu essen, und die alte Frau konnte so viele Mochi-Küchlein machen, wie sie wollte. Bergeweise Mochi!

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