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  • carmenappenzeller

Der magische Mörser oder: Wie das Salz ins Meerwasser kam

Aktualisiert: 2. Feb. 2023

Ein japanisches Volksmärchen nacherzählt



Unser letzter Urlaub am Meer in Shimoda, 3 Stunden von Tokio entfernt
Küste in Shimoda, Japan

Es war einmal vor langer, langer Zeit, da lebten zwei Brüder in einem kleinen Dorf in Japan. Der ältere Bruder war fleißig und arbeitete viel, doch der jüngere Bruder war ein fauler Taugenichts.

Was ist ein Taugenichts?

"Taugenichts" ist ein Wort, das man in früheren Zeiten als Schimpfwort benutzt hat. Man meinte damit jemanden, der nichts Nützliches macht, also nicht arbeitet oder sich um andere kümmert.

Findest du es fair, jemanden einen Taugenichts zu nennen?

Eines Tages ging der ältere Bruder in den Wald, um Feuerholz für den Winter zu sammeln. Als er dort schuftete und schwitzte, kam ein alter Mann auf ihn zu. Er trug ein weißes Gewand und einen weißen Hut, und auch sein langer Bart war weiß. Der alte Mann gab dem Bruder einen Mörser, mit dem man Reis oder Weizen zu Mehl zerreiben konnte.

Was ist ein Mörser?

Ein Mörser ist eine Schüssel, in der man Körner oder Gewürze zerreiben kann. Dazu benutzt man einen kurzen Stock, den man "Stößel" nennt. Wenn man geduldig reibt, kann man so aus Weizenkörner Mehl machen. Noch heute benutzt man Mörser in der Küche. In früheren Zeiten war der Mörser sehr wichtig, denn ohne Mixer und Küchenmaschine konnte man anders keine Pulver zum Kochen herstellen.

Mit diesem kleinen Mörser mahlen wir z.B. Sesamkörner
Japanischer Mörser

Dabei sagte der Alte: "Ich sehe, wie fleißig du bist. Hier, nimm diesen magischen Mörser. Er hat Zauberkräfte und wird dir alles geben, was du dir wünschst." Der ältere Bruder war überglücklich und machte sich schnell mit dem Mörser auf den Heimweg. Zu Hause stellte er den Mörser auf den Küchentisch und sprach: "Bitte, Mörser, gib mir Reis. Wir brauchen Reis." Während er dies sagte, rieb er mit dem Stößel im Mörser. Und tatsächlich: Plötzlich kam Reis aus dem Mörser, viele Schüsseln voll. Die Reiskörner sprudelten nur so aus dem Mörser, und es waren so viele, dass der ältere Bruder jedem Bewohner im Dorf etwas davon abgeben konnte. Die Nachbarn freuten sich sehr: "Wie wunderbar, ich danke dir!" "Nun werden wir im Winter genug zu essen haben."

Warum ist Reis für die Nachbarn so wichtig?

In Japan ist Reis das wichtigste Nahrungsmittel. Kartoffeln und Brot gab es in früheren Zeiten gar nicht. Auch heute essen viele Japaner zwei- oder dreimal am Tag Reis! Die Nachbarn freuen sich also über so viel Reis, denn damit werden sie jeden Tag genug zu essen haben.

Das heißt - alle freuten sich, bis auf einen: der faule jüngere Bruder. "Ich wünschte, ich hätte einen magischen Mörser. Ich wüsste besseres damit anzufangen!", so brummte er vor sich hin. Am Abend, als alle schlafen gegangen waren, schlich er sich in die Küche, nahm den Mörser seines Bruders und rannte damit davon. "Niemand wird mich finden, wenn ich mich am Meer verstecke", dachte er sich.

Ist das Meer wirklich so nah, dass der jüngere Bruder zu Fuß dorthin gehen kann?

Japan ist eine lange, schmale Insel, die ringsherum von Meer umgeben ist. Die meisten Orte in Japan sind weniger als 100 Kilometer vom Meer entfernt. Im Landesinneren leben wenig Menschen. Denn die hohen Berge mit ihren steilen Abhängen machen es schwierig, dort Straßen und Häuser zu bauen. Es kann also wirklich sein, dass der jüngere Bruder zu Fuß zum Strand gehen konnte.

Als er die Küste erreichte, fand er ein kleines Ruderboot. Er nahm es und ruderte mit aller Kraft auf das Meer hinaus. Erst als er die Küste kaum noch sehen konnte und von hohen Wellen umgeben war, machte er Halt. Nun begann er darüber nachzudenken, was er sich von dem magischen Mörser wünschen sollte. "Ich hab's," rief er, "Ich wünsche mir einen Haufen schöner kleiner, süßer Reisküchlein!" Und er begann, den Stößel im Mörser zu reiben. "Gib mir Reisküchlein!" Schon kullerten haufenweise kleine süße Reisküchlein aus dem Mörser heraus. "Oh wie köstlich schmecken die Reisküchlein! Und wie viele Reisküchlein ich habe!", freute sich der jüngere Bruder und aß alle auf.

Was sind Reisküchlein?

Reisküchlein nennt man auf Japanisch "mochi" (gesprochen: "Motschi"). Mochi ist eine japanische Süßspeise aus süßem Klebreis-Mehl. Mochi-Teig wird oft mit Grünteepulver (Matcha) oder anderen Lebensmittelfarben gefärbt. Manchmal ist ein süßer Kern im Mochi versteckt, zum Beispiel aus süßer Bohnenpaste.

Mochi gilt als "Essen der Götter" und soll Glück bringen. Das liegt daran, dass Mochi nicht nur lecker schmeckt, sondern auch sehr nahrhaft ist - ein Stück Mochi macht so satt wie eine kleine Schüssel Reis!

Kann man Reisküchlein selber machen?

Blaue Mochi
Japanische Mochi (blau gefärbt)

Nun hatte er so viel Süßes gegessen, dass er Lust auf etwas Salziges bekam, um den süßen Geschmack aus seinem Mund zu bekommen. Also begann er wieder, mit dem Stößel im Mörser zu reiben und sagte dieses Mal: "Gib mir jetzt Salz. Ich will Salz! Ich will Salz!" Nun kam Salz aus dem Mörser, weiße, glänzende Salzkörner. Und es kam und kam und hörte gar nicht auf. "Genug!", rief der jüngere Bruder, "es reicht. Halt!" Doch das Salz rann immer weiter aus dem Mörser. Es lief ins Boot hinein, das bald so voller Salz war, dass es schwer wurde und zu sinken begann! "Genug! Genug!", schrie der jüngere Bruder noch, als er schon mit dem Boot im Meer versank.

Doch der Mörser hörte nicht auf und schüttete Salz und noch mehr Salz aus, sogar als er schon unten auf dem Grund des Meeres lag. Bis heute hat der Mörser nicht aufgehört, Salz ins Meer laufen zu lassen. Und deshalb schmeckt das Meerwasser so salzig.

Stimmt es, dass das Meerwasser salzig schmeckt, weil ein magischer Mörser ständig Salz ins Meer schüttet?

Nein 😀

Woran liegt es in Wahrheit, dass Meerwasser salzig schmeckt?

Warum wurde denn diese Geschichte erfunden, wenn sie gar nicht stimmt?

Der magische Mörser oder Wie das Salz ins Meerwasser kam
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