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  • carmenappenzeller

Tsukimi und die Geschichte des Hasen von Inaba

Aktualisiert: 8. Dez. 2023

Tsukimi: Den Herbstmond bestaunen

Tsukimi ist eine uralte japanische Tradition, bei der es um den Herbstmond geht, der Ende September oder Anfang Oktober besonders groß und hell strahlt. Tsuki (Mond) mi (sehen) bedeutet wörtlich, "den Mond betrachten" (das herbstliche Pendant zu "Hana-mi", Blüten betrachten im Frühling).


Der Vollmond an Tsukimi 2023
Vollmond 29.9.2023

Der Herbstmond fällt mit der Erntezeit zusammen. Ähnlich wie das deutsche Erntedankfest gibt es auch zu Tsukimi einige Traditionen, um Dankbarkeit für eine erfolgreiche Ernte auszudrücken. Mochi-Reisküchlein (Tsukimi-Dango) und Herbstgemüse wie Süßkartoffel, Taro (Satoimo), Edamame und Kastanien werden dem Mond angeboten wie eine Opfergabe und Pampasgras dazu dekoriert. Ganz typisch ist folgendes Bild: Ein Vollmond am Himmel, davor Pampasgras, ein Berg Mochi und ein oder zwei Hasen, die den Mond betrachten.


Die Hasen betrachten den Herbstmond
Die Hasen betrachten den Herbstmond

Moment, Hasen?! Was haben die mit dem Mond zu tun? In Japan: viel. Was für Deutsche der Mann im Mond ist, ist für Japaner der Mond-Hase. Man sagt, die Mondkrater bildeten die Form eines Hasen. Wie ist der Hase dort hingekommen? Ein Gott soll einmal auf der Erde unterwegs gewesen sein, um drei besondere Freunde kennen zu lernen: einen Fuchs, einen Affen und einen Hasen. Als er die drei traf, boten der Fuchs und der Affe Speisen an, die sie gesammelt hatte. Doch der Hase hatte nichts außer Gras und vor lauter Scham sprang er selbst ins Feuer und rief "Iss mich!". Gerührt von der Opferbereitschaft des Hasen nahm der Gott den Hasen mit sich hinauf zum Mond.


Wir haben eine noch schönere Hasengeschichte gefunden*:


Der Hase von Inaba

Es war einmal ein Junge, der hieß Okuni-nushi. Okuni-nushi hatte 80 Halbbrüder, und alle waren älter als er. Sein Leben war hart, denn seine Brüder waren grobe Kerle, die ständig miteinander stritten. Den jüngsten Bruder Okuni-nushi behandelten sie wie ihren Diener. Wohin sie auch gingen, er musste ihnen all ihr Gepäck hinterhertragen. Und die Brüder waren viel unterwegs, denn sie blieben nie lang an einem Ort. Mal ging ihnen das Geld aus und sie mussten fort, um neue Schätze zu finden. Oder sie hatten so viel Unfrieden gestiftet, dass die Leute sie nicht länger sehen wollten und sie davon schickten. Okuni-nushi musste dann in Windeseile die Habseligkeiten seiner 80 älteren Brüder zusammenraffen, aufladen und mitschleppten.

Wie kann denn ein Mensch 80 Brüder haben?

In der Geschichte ist Okuni-nushi ein Gott und sein Vater war wohl auch ein Gott, der viele Frauen hatte und mit jeder Frau mehrere Kinder. Die Geschichte von Okuni-nushi ist eine ausgedachte Geschichte vom Anfang der Zeit. Sie soll erklären, wo die Menschen herkommen. Und da es am Anfang der Zeit noch wenig Menschen gab, musste jeder der Wenigen viele Kinder bekommen, um die Welt zu füllen!

Gerade waren sie wieder unterwegs. Ihr Ziel dieses Mal: Inaba. Die Brüder hatten gehört, dass es in Inaba eine Prinzessin gebe, die nicht nur reich und schön, sondern auch sanftmütig und klug war. Sie hieß Yagami. Jeder der 80 beschloss, Yagami zu heiraten und so waren sie losgezogen. Gerade wanderten sie an der Küste des Meeres entlang. In wenigen Tagen würden sie ihr Ziel erreichen. Da sahen sie am Strand einen schneeweißen Hasen liegen.

Als sie näherkamen, zeigte sich, dass der Hase kein weißes Fell hatte, sondern nur Haut, die weiß und verletzlich schimmerte. Er kauerte zitternd auf dem Boden und stöhnte vor Schmerz. Die Brüder lachten. "Seht, den Schwächling!", rief einer. "Hoho, ist das ein Hase oder ein gerupftes Huhn?", machte sich ein anderer lustig. Der Hase begann zu weinen. Da lachten die 80 herzlosen Brüder noch lauter. "Da hilft nur eins: Spring ins Meer und dann lass dich vom Wind trockenblasen!", riet ein dritter. Der verzweifelte Hase tat wie ihm geraten, doch ach, was war das für ein fürchterlicher Ratschlag! Das Salzwasser brannte auf seiner nackten Haut, und der scharfe Seewind trocknete seine verletzte Haut aus, bis der ganze Körper wie Feuer brannte! Völlig entkräftet schleppte sich der Hase an den Strand zurück und sank in den Sand.

Die 80 Brüder zogen lachend und feixend weiter. Was aus dem Hasen wurde, war ihnen egal. Nur Okuni-nushi hatte Mitleid. Er wollte genauer wissen, wie der Hase überhaupt sein Fell verloren hatte, damit er ihm helfen konnte. Vorsichtig beugte er sich über den Hasen und sprach sanft: " Lieber Hase, was ist dir geschehen? Erzähl mir, wie du dein Fell verloren hast."


Erst regte sich der Hase nicht und Okuni-nushi fürchtete gar, er sei tot. Doch dann begann er mit matter Stimme seine Geschichte zu erzählen: "Ich war dumm und übermütig, so habe ich mein Fell verloren und leide nun zurecht. Das kam so: Eigentlich lebe ich auf einer winzigen Insel dort draußen im Meer. Jeden Tag schaute ich von dort auf diesen Strand herüber und sehnte mich danach, ihn einmal zu besuchen. Doch das war unmöglich, denn ich bin ein Hase und kann nicht gut schwimmen. Das Meer hier wimmelt außerdem nur so von Wanisame. Die sind gefährlich!

Was sind Wanisame?

Wanisame gibt es nicht in echt. In der Geschichte sollen es wilde, gefährliche Tiere sein. Ein Wanisame ist halb Krokodil (auf Japanisch: Wani) und halb Hai (same). Ein solches Tier muss natürlich gut schwimmen können und scharfe Zähne haben!

Gestern dann hatte ich eine Idee. Die Wanisame sind nämlich nicht sehr schlau. Ich dachte mir also, dass ich sie leicht überlisten und so zum Strand kommen könnte. Ich ging ans Meer und rief den Wanisame zu, dass es ganz sicher mehr Hasen als Wanisame in dieser Gegend gebe. Die Wanisame fielen darauf natürlich sofort herein und wollten beweisen, wieviel es von ihnen gibt. Ich schlug vor, sie sollten sich im Wasser aufreihen, ein Wanisame neben dem anderen. Ich würden dann über ihre Rücken hoppeln und sie dabei zählen. Ja, und das taten sie. Es waren so viele, dass sie von meiner Insel bis zu diesem Strand reichten. Ich hoppelte über die Wanisame-Brücke und zählte laut. Doch als ich vom Rücken des letzten Wanisame sprang und mich am sicheren Strand wähnte, wurde ich zu übermütig. Laut rief ich: Hurra, die dummen Wanisame haben mir tatsächlich geholfen, über das Meer zu kommen! Ich hatte mich zu früh verraten. Der letzte Wanisame, von dessen Rücken ich gerade abgesprungen war, schnappte blitzschnell zu. Er erwischte nur den hintersten Zipfel meines Fells. Ich sprang, er biss - und so landete ich am Strand, aber mein Fell behielt der Wanisame. Und das geschieht mir recht."

Von der langen Geschichte erschöpft, endete der Hase. Okuni-nushi dachte nach. Der Hase tat ihm leid. Was er brauchte, war Hautpflege. Okuni-nushi musste lange Strecken zu Fuß laufen und dabei das Gepäck seiner Brüder schleppen. Oft scheuerte er sich dabei Rücken und Füße wund. Daher wusste er, was in solchen Fällen half. Er empfahl dem Hasen sein geheimes Heilmittel: "Bade in klarem Quellwasser und lege dich anschließend in den Pollen der Rohrkolbenpflanze, die am Ufer der Quelle wächst", riet Okuni-nushi dem Hasen. Der Hase vertraute Okuni-nushi und befolgte seinen Rat. Kaum lag er im weichen Pollen der Rohrkolben, da ließen die Schmerzen nach. Seine Haut heilte und es ging im besser.

Was ist eine Rohrkolbenpflanze?

Rohrkolben sind lang gewachsene Pflanzen, die einen dunklen länglichen Kolben haben, so ähnlich wie Mais. Sie wachsen am Ufer von Wasser.

Da geschah etwas Wunderbares: Sein Fell wuchs nach und im Nu war er wieder der schneeweiße, gesunde Hase von vorher. Doch damit nicht genug: der Hase hatte nämlich Zauberkräfte! Er konnte in die Zukunft sehen. Nun wandte er sich Okuni-nushi zu und sprach feierlich: "Mein edler Freund, ich danke dir. Du bist gütig und hilfsbereit. Dich erwarten Reichtum und Glück in der Zukunft. Die Prinzessin Yagami wird keinen der 80 schlechten Brüder heiraten, sondern dich!" Und mit diesen Worten verschwand der Hase.


Okuni-nushi schaute ihn staunend nach. Er freute sich, dass er dem Hasen helfen konnte, doch der Weissagung glaubte er nicht. Schließlich war er nur der kleine Okuni-nushi, Diener seiner 80 großen Brüder. Doch der Hase sollte recht behalten: Die kluge Prinzessin Yagami erkannte, dass Okuni-nushi der beste von allen war und entschied sich für ihn!


 

* Die Geschichte des Hasen von Inaba ist in der Kojiki enthalten, einer Sammlung japanischer Mythen aus dem 8. Jahrhundert.

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